Biografie – Leben und Werk Franz Kaiser

Franz (Friedrich) Kaiser wurde am 5.2.1888 in Düren geboren. Er wuchs mit drei Geschwistern in einer kleinbürgerlichen Familie in Köln-Nippes auf, sein Vater war Eisenbahnschaffner. Nach einer kaufmännischen Ausbildung verließ er mit 18 Jahren das Elternhaus, sattelte in den Bauberuf um und arbeitete ab 1908 auf dem Bau in Köln. 1910-12 leistete er Militärdienst.

Danach ging er nach Berlin, fing im Architekturbüro Otto Walter an und bildete sich in Abendkursen an der Kunstgewerbeschule bei Paul Thiersch und Franz Seeckt weiter. Im Ersten Weltkrieg wurde er 1915 bei Chalons verwundet und mit dem EK II ausgezeichnet. 1915-17 arbeitete als Architekt bei Prof. Bruno Paul und Prof. Peter Behrens in Berlin, bis März 1918 in Darkehmen/Ostpreußen und beim Bauberatungsamt. Eineinhalb Jahre lehrte er darauf Innenarchitektur an der Kgl. Kunstgewerbeschule Königsberg unter Direktor Prof. Edmund May.

Aus der 1916 mit der Zahnärztin Lea Gerta Lipsky geschlossenen Ehe ging ein Sohn, Peter, hervor. Er litt an der Littleschen Krankheit und war zeitlebens auf Pflege angewiesen. Kaisers Frau trennte sich 1921 wieder von ihm.

Im Juli 1920 kehrte er nach Berlin zurück, war zunächst bei Architekt Michael Rachlis im Villenneubau tätig. 1921-22 leitete er selbständig die Arbeiten an der Villa Pawel, Villa Wohlgemuth und dem Landhaus Dr. Pawel sowie am Stadtpalais Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Wegen ausschweifender Kunstfantasie und Kostenüberschreitungen überwarf er sich allerdings mit allen Bauherren, gab darum die Architektur auf und wandte sich der freien Kunst zu.

Er begeisterte sich für Dada, verkehrte in den Kreisen um Raoul Hausmann, George Grosz, Werner Scholz und Alexander Archipenko. 1923 hatte er eine erste Gemäldeausstellung in Berlin, die er betitelte: Die Kunst dem Volke! Aber nicht Perlen vor die Säue. Obwohl sich für seine Bilder Sammler fanden, glaubte er sich talentlos und versuchte sich nun als Prophet. Er schloss sich dem Inflationsheiligen Ludwig Christian Haeusser an, vagabundierte als obdachloser Wanderprediger durch Deutschland und wurde wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (als Nudist) dreimal inhaftiert. Zum Lebensunterhalt arbeitete er zeitweilig untertage bei Thyssen in Hamborn. 1924/25 bewarb er sich als Universalgenie bei den Reichstags- und Reichspräsidentenwahlen.

Nach drei Jahren beendete Kaiser 1926 das Wanderleben und die anarchische Vagantenexistenz, übersiedelte nach Hamburg und zog mit der Haeusser-Anhängerin Therese Böckmann, Lebensgefährtin und spätere Frau (Heirat 1941), auf einen alten Dachboden im Gängeviertel, Kornträgergang 60. 1929 gründete er hier eine Praktische Schule für radikale Lebens-Reform. Er beabsichtigte, junge Menschen zu lehren, wie man mit wenigem glücklich sein kann.

Aus Abfall und Müll fertigte er Möbel, aus Baumstämmen und Altholz Skulpturen, dazu Kunst aus Billigmaterialien. 1929 präsentierte er auf seinem Boden eine Ausstellung Hausrat aus Unrat – Bemalter Dreck. Sie war unerwartet erfolgreich. Der Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, Max Sauerlandt, zeigte Interesse an seinen Arbeiten, die Hamburger Kunsthalle erwarb 1932 das Bild Die Afrikanerin. (Als „entartete Kunst“ wurde es 1937 aus dem Museum entfernt und später zerstört). Damen der Gesellschaft lenkten ihre Schritte ins Gängeviertel zu dem interessanten Künstler.

Wegen Abriss des Wohnhauses im Zuge der Gängeviertelsanierung mussten Kaisers 1933 eine neue Wohnung suchen. Sie übersiedelten mit einem Handkarren, den der Künstler selbst zehnmal hin und herzog, in einen Mansardenraum in Uhlenhorst, Kanalstraße 2. Dieser Umzug ging als Aufbruch in eine neue Welt in mehrere Bilder ein: Auf zu neuen Ufern.

zur Zeichnung Auf zu neuen Ufern, Z195a
zum Gemälde Auf zu neuen Ufern, G11
zum Gemälde Auf zu neuen Ufern, G109
zum Gemälde Auf zu neuen Ufern, G110
zum Gemälde Auf zu neuen Ufern, G193

Kaiser war seit 1923 gegen Hitler und hielt sich mit Kritik am NS-Regime nicht zurück. Der Boheme erlebte 1933 eine Haussuchung durch 10 Mann Polizei, 1934 eine durch die SA, 1941 eine weitere durch die Gestapo. Wegen eines Rundschreibens an seine Freunde trug er bei der Vernehmung im Stadthaus Prügel und ein blaues Auge davon. Die Kriegsjahre lebte er geduckt und bedrückt. 1943 setzte er sich nach Wien ab, arbeitete in einem Flugzeugkonstruktionsbüro, das er nach drei Wochen fluchtartig verließ. Darauf wurde er als Architekt in Dachau bei der Bau-Inspektion Süd der Waffen-SS und Polizei neben dem KZ zwangsvermittelt und Tag und Nacht bewacht. Nach 14 Tagen floh er auch hier und landete in der Nervenheilanstalt Witzenhausen an der Werra. Nach Hamburg zurückgekehrt, wurde er im Chilehaus und 1944 bei Klöckner-Flugmotorenbau in Moorfleet zwangsverpflichtet.
Das Kriegsende bedeutete „Erlösung, Befreiung Aufatmen, Jubel, Tanzen. Nie habe ich so viel, so gut, so frei, so gläubig und stark gearbeitet wie jetzt. Nie war ich so jung…(Meine Mauserung). Befreit von Verfolgung, Inhaftierung, Zwangsvermittlung lebte das Paar fortan ein asketisches Künstlerdasein, oft ärmlich oder gar am Existenzminimum. Die Miete für Wohnung und Atelier verdiente Kaiser „nebenberuflich“ als Hauswart für zwei Mietshäuser. Für die freie Kunst blieb ihm ausreichend Zeit.

Das große künstlerische Werk von über 1500 Arbeiten entstand autodidaktisch. Trotz permanenter Veränderung zeigt es unverkennbare Eigenständigkeit. In den Gängevierteljahren fertigte Kaiser monumental expressive Skulpturen, teils koloriert, an Dämonen und Götter außereuropäischer oder vergangener Kulturen erinnernd. Um 1960 stattete er in Uhlenhorst eine Kneipe mit großen Holzfiguren aus. Ornamentale Arbeiten erinnern an Symbole indigener Südseekunst, objets trouvés aus Fundstücken an Schwitters Werk. Seine Collagen bilden eine eigenständige Kunstform. Neben Mengen an Zeichnungen entstand im Selbststudium ein reiches malerisches Oeuvre. Einzelne Gemälde nähern sich großen Vorbildern an, die er jedoch bald wieder aufgab, ohne etwas anzunehmen: van Gogh, Picasso, Miró, Chagall, Gauguin, aber auch Barlach, Klee, Grosz, Scholz, Modersohn-Becker u.v.a. Prähistorische Kunst (Eiszeitmalerei) begeisterte ihn, 1958 Arbeiten von Rolf Nesch. Das Hauptwerk ist gegenständlich, zeigt einen magisch realistischen Stil. Kritisch und eigenwillig entwickelte er es ständig weiter, jeder Stillstand, jede stilistische Einseitigkeit waren ihm suspekt. Nach Versuchen mit Abstraktionen zog er gegen abstrakte Kunst, besonders gegen Werke von Kandinsky und Arp engagiert zu Felde.
Im Gegensatz zu den oft revolutionären Themen ist das Kolorit der Gemälde häufig gedeckt und dunkel oder es wirkt fahl und skizzenhaft durch eine lockere, unscharfe Malweise. Der Künstler experimentierte mit den Ausdrucksmitteln, mischte in ständiger Improvisationslust Zeichentechniken, fertigte „abwaschbare“, mit Gips versetzte Bildoberflächen, erfand eine Brandtechnik für Collagen.

Seine Bilder wurden vorwiegend von Freunden und Anhängern erworben. Phasen der Kunst wechselten mit Zeiten handwerklicher Betätigung. Mit Auftragsarbeiten und angewandter Kunst bestritt Kaiser den Lebensunterhalt. Er baute und dekorierte Möbel, Truhen, Tische, Stühle, Schränke, fertigte Spielzeug, Fabeltiere aus Holz und kunsthandwerkliche Objekte. Auf einem selbst konstruierten primitiven Webstuhl entstanden ohne Entwurf Decken, Flickenteppiche und imaginativ künstlerische Wandbehänge. Die Garne spann Therese aus rohem Schafwollschnitt und färbte sie selbst. In einer umfunktionierten Teertonne brannte Kaiser außerdem Gebrauchskeramik, große Gefäße, Kleinplastik und sonderbare Kunstgegenstände.
Nebenher war er journalistisch tätig, veröffentlichte Einzelnummern von Zeitungen, schrieb Artikel und führte umfangreiche Schriftwechsel mit Sammlern, Kollegen, Freunden und Gegnern. Zum Tod seiner Frau schrieb er im Dezember 1970 einen anrührenden Text, Therese.

Franz Kaiser starb am 23.7.1971 in Hamburg, nur ein halbes Jahr später. Der Arzt Dr. Jürgen Winzer, der ihn als Student kennen und schätzen gelernt hatte und bis zu seinem Tod betreute, übernahm das künstlerische Erbe.